Interview von Chefredakteur Jörg Christiansen mit Hans Jessel und Malte von Schuckmann
Der eine fotografiert, der andere malt in Öl - doch beide haben offenbar den gleichen Blick für die Sylter Natur. Anlässlich der aktuellen Ausstellungen von Hans Jessel (52) im Kaamp-Hüs und von Malte von Schuckmann (30) in der Stadtgalerie sprach Jörg Christiansen mit den von Natur und Landschaft faszinierten Künstlern über ihre Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede.
Herr von Schuckmann, viele Ihrer Ölbilder kann man für Fotografien halten - warum sind Sie nicht Fotograf geworden?
Malte von Schuckmann: Weil ich beim Malen meine Bildkomposition
frei wählen kann. Ich bastele die Bilder gewissermaßen aus verschiedenen
Eindrücken und Vorlagen - zumeist Fotos - zusammen. Dabei kann ich hinzudichten
oder weglassen, was ich für richtig halte.
Hans Jessel: Dass ist es, worum ich Maler beneide. Und um den viel größeren Output. Wenn ich zwei oder drei ausstellungswürdige Fotos im Jahr habe, bin ich dankbar. Es macht mich auch wahnsinnig, wenn wochenlang schlechtes Wetter ist und ich nicht fotografieren kann. Mein erster Kontakt mit Maltes Bildern war übrigens in Hamburg-Ottensen, als ich von der anderen Straßenseite aus sah und dachte - oh, Sylt-Fotos.
Muss man als Maler genauso viel und lang in der natur unterwegs sein wie als Fotograf?
Malte von Schuckmann: Wenn ich auf der Insel bin, bin
ich eigentlich jeden Tag draußen unterwegs. Oft von 18 Uhr bis zur Dunkelheit.
Auch ich warte dann auf diese Momente, wenn das Licht toll ist. Ich suche
mir eine stille Ecke und beobachte den Himmel. Das finde ich so schön,
wenn nach langem Warten dieser Moment kommt. Viele Leute glauben ja, ich
gehe mal kurz an den Strand, knipse ein Foto und male das dann ab.
Muss man die Einsamkeit lieben, um solche Bilder zu malen oder zu fotografieren?
Hans Jessel: Das erste, was ich Malte fragte, als ich
in seine Ausstellung kam, war, ob er auch so ein Einzelgängertyp ist.
Das war mir sofort klar als ich seine Bilder sah.
Malte von Schuckmann: Ja klar, ich bin froh, wenn der
letzte Spaziergänger verschwunden ist oder ich wie neulich morgens um
sechs der erste Mensch am Strand bin und die Stimmung in mich aufnehmen
kann.
…wobei die Gefahr besteht, dass Hans Jessel dann schon da war.
Hans Jessel: (lacht) An dem Tag war ich wohl gerade woanders,
obwohl wir beide mit dem Fahrrad unterwegs sind. Für mich ist es toll
zu sehen, dass auch die nächste Generation die Natur der Insel so sieht
und liebt wie ich.
Immer nur Wolken, Wellen, Dünen, Watt - hat man das nicht irgendwann satt?
Hans Jessel: Ich finde eher, man dringt immer tiefer
ein. Ich habe mittlerweile so viel erlebt in der Natur, dass ich auch
immer höhere Ansprüche habe. Ich fotografiere über die Jahre und Jahrzehnte
immer weniger Bilder, aber die sitzen dann mehr. Gerade jetzt im Herbst
habe ich viele Ideen und lauere, sie umsetzen zu können. Jedes mal wenn
ich rausgehe, ist es wieder anders. Das Meer und der Himmel sind nie gleich.
Von Ermüdungsprozess keine Spur.
Malte von Schuckmann: Das sehe ich genauso. Ich male
zwar noch nicht so lange, aber ich kenne die Insel ja seit Kindesbeinen
und sie bietet mir immer wieder etwas Neues. Das wird sicher noch lange
anhalten, gerade das Wasser ist ja unendlich. Da gibt es für mich noch
viel zu entdecken und auszuprobieren.
Hans Jessel: Malte ist in der Hinsicht ja noch viel extremer
als ich. Auf seinen Bildern gibt es rein gar nichts vom Menschen geschaffenes,
noch nicht einmal Buhnen oder Strandkörbe - und auch keine Möwe. Das finde
ich persönlich toll.
Malte von Schuckmann: Doch , ich habe mal Fußspuren im Sand gemalt.
Aber wenn ich eine Möwe oder einen Fischkutter male, dann kann das Bild
ganz schnell ins Kitschige kippen. Ich will den Blick auf die Natur konzentrieren,
deren Schönheit bewusst machen. Mir haben schon oft Leute gesagt, durch
die Bilder würden sie selbst die Natur mit anderen Augen sehen.
Hans Jessel: Das höre ich auch häufig, dass die Leute
selbst anders gucken, wenn sie die Faszination der Natur durch die Bilder
entdecken. Gerade jüngere Leute sind heute so entwöhnt von der Natur,
dass sie oft nicht glauben, dass meine Bilder nicht am Computer bearbeitet
sind.
Zeigen Ihre Fotos und Gemälde eine idealisierte Insel? Sind Sie beide Idealisten?
Hans Jessel: Natürlich fotografiere ich idealste Momente,
die die Natur mir bietet, aber da stehe ich auch zu. Das ist es ja, was
ich zeigen will, weil viele Menschen dazu keinen richtigen Kontakt mehr
haben. Der Kern meiner Arbeit sind diese ganz außergewöhnlichen Naturstimmungen,
wie man sie eigentlich nur auf Sylt findet. Ob ich die Natur damit idealisiere,
weiß ich nicht - ich bewundere sie einfach.
Malte von Schuckmann: Ein Stück weit muss man bei dem, was wir beide machen,
sicherlich Idealist sein, sich das Staunen vor der Größe der Natur bewahren.
Hans Jessel: Als man mir als 18-Jährigen gesagt hat,
du wirst deinen Idealismus auch noch verlieren, habe ich immer gesagt,
den habe ich mit 50 immer noch.
Wie registriert man als Maler die Veränderungen der Insel und ihrer Natur?
Malte von Schuckmann: Ich erfahre vor allem die Veränderung durch das
Wetter. Jede Düne, jeder Übergang sieht von Jahr zu Jahr anders aus. Aber
auch die Spuren des Menschen nehmen zu. Zum Beispiel das Podest in Kampen
und Bars oder Bistros in den Dünen und am Strand empfinde ich als störend.
Hans Jessel: Ich merke die Veränderung am stärksten,
wenn ich mir Bilder von Wilma Bräuner (1891-1985 Anm. d. Red.) ansehe
und dort stehe, wo sie damals gemalt und fotografiert hat. Ich sehe aber
auch die großen Erfolge des Naturschutzes, der eine noch größere Bebauung
verhindert. Natürlich sehe auch ich, dass die Natur von immer mehr Hässlichem
eingezingelt wird. Das könnte ich auch zeigen, aber das ist nicht mein
Thema. Ich sehe es und leide darunter, aber mein künstlerisches Thema
ist es nicht.
Malte von Schuckmann: Mein Thema ist die reine Natur,
Wellen und Wolken. Alles, was dazukommt, lenkt den Blick aufs Wesentliche
nur ab. Ich male zwar gegenständlich, aber nicht fotorealistisch.
Ihre Bilder sind allesamt Sylt-Motive, aber Sie leben in Kiel.
Malte von Schuckmann: Wenn ich Hans Fotos sehe, denke
ich manchmal, ich muss doch nach Sylt ziehen. Aber ein paar längere Aufenthalte
wären auch okay. Die Bilder tragen übrigens nur selten Titel in denen
Sylt auftaucht. Für mich und viele Betrachter sind es einfach Nordsee-Motive.
Ich habe auch versucht, an der Ostsee zu malen, aber das klappt nicht.
Es fehlt der Geruch nach Meer, das Licht, die Stimmung.